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Partizipation und Politik

Diskursive und wirksame Verfahren

Bei Beteiligungsmüdigkeit und Partizipationsübersättigung fragen Sie bitte Ihren Arzt und Apotheker uns …

Erinnert ihr euch noch an Stuttgart 21? Das war der Moment, als Deutschland aufwachte und sagte: “Hey, vielleicht sollten wir die Bürger*innen früher in die Planungsverfahren einbeziehen!” Und so begann eine Reise, auf der Städte, Regionen und Ministerien Beteiligung institutionalisierten. Viele entwickelten Leitlinien partizipativ und beschlossen sie politisch, stellten Bürgerbeauftragte ein und schufen neue Ämter. Es war, als hätte jemand ein riesiges Schild mit der Aufschrift Beteiligung aufgestellt. 

Und das ist großartig!

Weil Beteiligung das Herzstück unserer Demokratie ist. Ein relevanter Baustein, der für eine gesunde und funktionierende Demokratie vonnöten ist. Dabei ist sie viel mehr als das Einbringen von Eigenem und die aktive Mitgestaltung. Partizipative Projekte geben Teilnehmer*innen ein Gefühl des Zusammenhalts und die Erfahrung der Gemeinschaft. Sie ermöglicht die Übernahme von Verantwortung und das Sichtbarmachen der verschiedensten Wünsche und Beweggründe aller Bevölkerungsgruppen. Sie stärkt das Selbstwertgefühl, die Selbstbestimmung, die Solidarität sowie die Kreativität im gemeinsamen Aufbruch in die Zukunft. 

Beteiligung: Ein Prozess, kein Projekt.

Mittlerweile gibt es diverse Formen und Methoden zur politischen Partizipation, die sich mit viel Anspruch an Kreativität entwickelt haben und versuchen, den immer größer werdenden Markt abzudecken. Doch Beteiligung ist kein Projekt, sondern ein Prozess, bei dem es darum geht, alle und vor allem die eher beteiligungsfernen Menschen zu erreichen.

Auffallend ist laut einer Weizenbaum Institut Studie, dass über den Befragungszeitraum von vier Jahren besonders die traditionell politischen Aktivitäten der Bevölkerung, also die „Zahl der Menschen, die sich in Parteien, im Kontakt mit Politiker:innen, in einem Ehrenamt oder in der politischen Mobilisierung anderer Personen engagieren“, zurückgegangen ist. Ein Trend?

Ist es etwa wieder eine Art Tocqueville-Paradoxon, das hier greift? Es scheint, als würden die zunehmenden Möglichkeiten, sich politisch beteiligen zu können und die große Informationsdichte nicht dazu führen, dass sich mehr Menschen politisch einbringen.

Volkskrankheit: Politikverdrossenheit

Leider ist die Partizipation der Menschen in vielen Bereichen und Situationen nicht ausreichend gewährleistet oder gefördert. Viele Menschen fühlen sich von der Politik abgehängt, vernachlässigt oder überfordert. 

Die Süddeutsche widmet dem Thema Politikverdrossenheit in Deutschland eine ganze Landingpage voller Artikel. Darunter auch ein Interview mit jungen Menschen, die vor der im Oktober stattgefunden Landtagswahl in Hessen befragt wurden, was sie politisch bewegt. Allen Interviewten ist gemeinsam, dass sie sich momentan nicht von der Politik abgeholt fühlen:

"Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, aber es ist frustrierend zu sehen, dass immer noch zu wenig getan wird."

"In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass die Wahlplakate sehr populistisch sind, das beunruhigt mich schon etwas."

"Die Menschen auf dem Land werden von der Politik in vielen Bereichen vergessen, das ist meiner Meinung nach sehr problematisch. "

"Das liegt vor allem daran, dass es an politischer Bildung mangelt. Das wiederum wird von rechten Parteien ausgenutzt."

"Es sollte auf kommunaler Ebene mehr Aufmerksamkeit für die Anliegen der Bürger:innen geben."

Ein Gefühl, das viele Deutsche kennen: Politikverdrossenheit stellt sich wie eine Frustrationsspirale dar, die gespeist wird aus Unzufriedenheit, Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit. Sie läuft immer weiter, wenn der Eindruck entsteht, dass die eigene Meinung und das eigene Engagement keinen Einfluss auf politische Entscheidungen hat. Wenn Entscheidungen von „denen da oben“ nicht nachvollziehbar und weit weg von der eigenen Lebensrealität sind, geht auch der Glaube an die Demokratie verloren und Dinge, die angestoßen werden, schaffen es nicht bis in die aktive Veränderung. Schlimmstenfalls steigt mit Zunahme der Beteiligungsmöglichkeiten die Enttäuschung, wenn Beteiligung nicht wirksam ist.

Gleichzeitig sieht fast jedes Förderprogramm Bürgerbeteiligung vor. Nicht selten werden so in kurzen Abständen parallel zu vielen Themen Beteiligungen angeboten. Das ist zu viel, zu sehr vom Selben und wirkt auf die Bürger*innen nicht durchdacht. Auch hier bleibt meist offen, wie die Beteiligung Wirkung entfalten kann und zeigt – es macht einen Unterschied.

Es fehlt nicht viel zur Beteiligungsmüdigkeit, wenn sich Menschen entfremdet von der Politik fühlen und das Empfinden haben, dass ihre eigene Beteiligung keinen Unterschied macht.

Ein etwas älteres Wahlplakat, aber immer noch höchst aktuell. Quelle: Deutschlandkultur
Weiterentwicklung der Beteiligung

Der Entschluss, weniger Beteiligung anzubieten, wäre ein falscher. Wir finden, dass sich Beteiligung weiterentwickeln muss. Beteiligung heißt Räume für sinnvolle Kommunikation und Begegnung anzubieten. Beteiligung heißt Dialog und Diskurs. Auch Netzwerke stärken, Community bilden. Zusammenkommen über die Ebenen hinweg. 

Und dazu gehört für uns auch das Anbinden von Partizipation an Verwaltung und Politik. Beteiligung könnte tiefer verankert werden und supervisorischer werden. Warum nicht zum Beispiel auch über Grenzen sprechen – die der Planung, im Kopf, in den Systemen. Gerade wenn es um Veränderung geht. Die Systeme miteinander in Schwingung bringen, heißt auch, den Blick auf die Spannungen zu richten. Auf Konflikte. Wir müssen Konflikte benennen, bearbeiten und klar machen – Beteiligung heißt eben nicht „wünsch‘ dir was“ oder „es wird nichts draus“, sondern „lass‘ dich ein, nimm was mit, bring deine Perspektive ein, lerne etwas neues (kennen)….“.

Durch echte Partizipation merken Bürger*innen und Menschen aus den Zielgruppen, dass sie mit ihrer Meinung und ihrem Handeln etwas bewirken können, weil die Ansichten direkt in das politische System eingegossen und nicht zu einem Flyer in der Ablage werden.

Was wäre, wenn der Prozess systemischer wäre, also integrierter, indem nicht nur die Fachämter Beteiligungen machen, sondern viele Institutionen parallel und miteinander?

Raus aus der Frustrationsspirale: Neue Ansätze 

Auch wenn wir der festen Überzeugung sind, dass es bei diesem Diskurs darum geht, keine losen Enden stehenzulassen, also nichts zu produzieren, was nicht bis zum Ende gedacht wurde, können wir an dieser Stelle nur einige Ideen teilen, die uns im Kopf herumschwirren, um die Diskussion in die richtige Richtung zu lenken. Denn jedes Projekt ist einzigartig und muss deswegen mit Kreativität und mediativem Geist individuell gedacht werden. Es gibt nicht den einen richtigen Fahrplan für die Lösung der Beteiligungsmüdigkeit. Aber es geht zu jeder Zeit darum, zu reflektieren, die eigenen Interessen einzubringen und zu verhandeln. All das tun wir auch mit dem Ziel, innovative Lösungen zu finden, das Mindset zu verändern und letztlich unsere Demokratie zu schützen und voranzubringen. Um sinnvolle Angebote für Partizipation zu schaffen, müssen wir immer wieder kreativ werden und durchaus auch neue Wege gehen:
  • Transdisziplinarität: künstlerisch, ästhetische Ansprache durch Theater, Musik, Comics und Spiele
  • partizipative Forschungs- und Lernprojekte, die die Bürger*innen in die Erhebung, Analyse und Nutzung von Wissen über politische Themen einbeziehen, ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigenen Fragen und Lösungen zu entwickeln, und sie mit wissenschaftlichen und politischen Akteuren kooperieren lassen: Bürger*innenwissenschaft, Aktionsforschung oder Lernwerkstätten
  • Migrant*innen oder andere Zielgruppen schulen und coachen, um selbst Beteiligung in ihrer Bevölkerungsgruppe voranzubringen
  • politische Festivals, multiperspektivische Happenings und Events, die die Bürger*innen zu einem gemeinsamen Erlebnis und Austausch über politische Themen einladen, ihnen Spaß, Unterhaltung und Inspiration bieten, und sie mit verschiedenen, interessanten Persönlichkeiten, Aktivist*innen und Politiker*innen in Kontakt bringen: Konzerte, Filme, Lesungen…
  • Auf Augenhöhe: Jugendliche werden zu Moderator*innen der eigenen Jugendbeteiligung. Diese sind in die Gestaltung von Format, Setting und Materialien involviert. Sie werden von Betroffenen zu aktiv Beteiligten.
  • Arbeitgeber*innen ermöglichen Partizipationstage (ähnlich Ehrenamtstage)
  • Speeddating mit der Poltik
Rauszoomen
Reinzoomen

Überfordert von Informationen schauen wir durch die Medien in eine Welt, die uns so nicht gefällt, wie sie gerade ist. Wir werden überfrachtet mit schlechten Nachrichten, die uns nicht zu Klarheit kommen lassen; uns lähmen. Die unglückliche Kombination aus Übersättigung und Müdigkeit lässt uns träge werden. 

Gemeinsam sollten wir wieder mehr Überschaubarkeit entstehen lassen, indem wir die Brennpunktthemen in unsere Mitte holen und sie dort in Angriff nehmen, wo wir sind: in unserem Viertel, unserer Nachbarschaft, in unserer Straße. Lokales Engagement macht aus Müdigkeit Aktivismus. Die große Herausforderung des Rein- und Rauszoomens – in unsere Nachbarschaft und dann wieder zu politischen Entscheidungen in Deutschland – muss wieder gelingen und einen Konsens ergeben, damit sich Beteiligung wieder für jede*n lohnt! 

Beteiligung ist Kommunikation. Kommunikation heißt Beziehungsarbeit. Dialog. Mehr von Dialog sprechen, Raum für Gespräche anbieten. Begegnungen ermöglichen. Aus diesen heraus finden sich Potentiale für das Engagement vor Ort. Dialog heißt auch, sich schlau fragen, verstehen, wissen und selbst etwas tun.

Kristina Oldenburg

Autorinnen: Kristina Oldenburg, Anne Cavalier

Quellen im Text verlinkt.

Titelbild via Unsplash Anne Nygård 

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